Das Jammertal

eine psychologische Betrachtung
Jammern

Es liegt in der Natur der Menschen, zu vergleichen. Ist für jemand das Gras beim Nachbarn allerdings immer und grundsätzlich grüner und tut er das dauernd kund, dann kann das für sein Umfeld ziemlich anstrengend werden. ELMA hat sich mit der Nürnberger Psychotherapeutin Uta Günther unterhalten und nachgefragt, was es mit dem Jammern und Nörgeln denn auf sich hat. 

„Jammern auf hohem Niveau“ – darf ich das eigentlich überhaupt, wo es doch so vielen anderen so viel schlechter geht? 
Wenn das Jammern mich entlastet, mir guttut, dann „darf“ es auch sein. Wenn ich damit mein Unglücklichsein allerdings „züchte“ und verstärke, dann stärkt und entlastet das Jammern nicht, sondern es schwächt und belastet. Es ist also wichtig, die Wirkung zu beobachten und es, wenn es nicht guttut, lieber sein zu lassen und den Blick auf die positiven Dinge zu lenken. 

Was versteckt sich dahinter, wenn jemand dauernd herumjammert? 
Ist das Jammern eine dauerhafte Angewohnheit, dann kann es Ausdruck einer depressiven Haltung sein. Man ist unzufrieden, fühlt sich ohnmächtig und als Opfer. Das Einzige, was aufgrund einer erlernten Hilflosigkeit dann möglich ist, ist, sich zu beschweren und zu jammern. Wie beim sprichwörtlich „halb leeren Glas“ sieht man dann nur das, was einem fehlt, was nicht stimmt. Anstatt sich selbst wirksam zu erleben, zu sehen, wie man das, was nicht passt, so beeinflussen und verbessern kann, dass man wieder zufriedener ist. 

Ein Problem in der Kommunikation vieler Beziehungen ist, dass die Frau jammert und der Mann in die Aktion geht und nach Lösungen sucht. Woraufhin sich die Frau unverstanden fühlt …
Das Jammern ist ein Ausdruck von Klagen, über Leid und Schmerzen, auch seelischer Art, wohingegen beim Nörgeln ganz unabhängig vom Inhalt eine grundsätzliche Unzufriedenheit die spürbare Qualität ist. Nicht selten dient das Jammern einfach mal der Entlastung. Dann wünscht man sich jemanden, der das gemeinsam mit einem aushält, Verständnis zeigt, Trost oder Mitgefühl … und bloß keine klugen Ratschläge gibt oder Lösungsideen. Da geht es darum, zu erleben, dass man mit dem Schmerz nicht alleine ist. Und irgendwann merkt man dann selbst, es ist genug, man hat sich wieder beruhigt und kann dann auch aktiv und gestärkt wieder ins Handeln gehen. 

Wie geht man am besten mit Menschen um, die dauernd unzufrieden sind und herumnörgeln? 
Je nach Persönlichkeit, Lebensalter und Anlass braucht jeder Mensch verschiedene Umgangsweisen. Aber niemand muss sich das auf Dauer anhören, je nach Kontext kann man eine Form finden, sich abzugrenzen. Elegant oder auch konfrontierend. 

Jugendliche jammern ja angeblich besonders gern …
Diese Zeit ist der Übergang von der Lebensphase, in der ich mich nach den Regeln und Vorgaben der Erwachsenen richten muss, und der Zeit, in der ich selbst Entscheidungen treffen und verantworten werde. In diesen Übergängen erlebt man sich extrem schwankend zwischen allmächtig und ohnmächtig. Alle Veränderungen, auch die körperlichen, sind verunsichernd, daher führt das auch zu Angst und Irritation, und die wiederum zu „Gejammer“.

Wie reagieren Eltern da am besten? 
Auf jeden Fall sollte man weder pauschal bagatellisieren (das wird schon wieder / ist doch nicht so schlimm) noch mit Parolen wie „Jetzt reiß dich mal zusammen!“, mit ungefragten Ratschlägen oder gar mit Spott oder Abwertungen (bist du wehleidig/kompliziert) reagieren. Oft ist einfach nur ein großes Eltern-Herz gefragt, eine Schulter zum Anlehnen, um sich auszuweinen, ein Mensch, der zuhört, mitfühlt, tröstet, mitträgt. In dieser Phase braucht auch unser Nervensystem Zeit, um sich zu beruhigen, sich sicher zu fühlen. Hier kann ein beruhigender Körperkontakt gut sein, oder auch einfach nur ein Beisammensein. Wenn dann die Nase geputzt, das Gehirn wieder im „Normalmodus“ ist, und auch erst dann, sind sicher Äußerungen des Mitgefühls, Fragen und Interesse danach, was passiert ist oder worum es geht, hilfreich. 

Aber natürlich muss auch niemand allwissend sein oder stets zur Verfügung stehen. Man kann dann zum Beispiel signalisieren, dass man mitbekommen hat, dass es dem anderen nicht gut geht und gerne später mit ihm darüber spricht, oder dass man über etwas erst einmal nachdenken muss. So fühlen sich Kinder und Jugendliche ernst genommen und die Eltern bleiben authentisch und vertrauenswürdig.

Interview: Simone Blaß

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