Lernspiele

Wie lehrreich sind digitale Spiele?
digitale Lernspiele

„Gamification“ ist in aller Munde, doch kaum jemand weiß, was es bedeutet – und wo wir im Alltag längst damit zu tun haben. Der Medienpädagoge Dr. Patrick Ruckdeschel hält Gamification für ein zweischneidiges Schwert – und weiß, warum „Lernspiele“ und lehrreiche Spiele nicht das selbe sind.

Was ist Gamification?

Spieltypische Elemente in Situationen und Handlungen zu übertragen, die eigentlich mit „spielen“ gar nichts zu tun haben – das steckt hinter dem Begriff „Gamification“, der in den vergangenen Jahren immer öfter und an immer neuen Stellen auftaucht. Wenn sich alltägliche Handlungen plötzlich wie ein Spiel anfühlen, dann ist also meist Gamification im Spiel. Gamification soll Dinge spannender machen und zum Mitmachen motivieren. So entwickeln etwa Urbanisten, also Stadtforscher zunehmend Ideen, wie spielerische Elemente in den öffentlichen Raum eingebunden werden können. Als Klaviertastatur bemalte Treppenstufen sollen uns beispielsweise zum Treppengehen animieren und die Gesundheit fördern, und Apps wie das berühmte Pokémon GO wollen Menschen gemeinsam auf die Straßen bringen, um virtuelle Tierchen aufzuspüren und ganz nebenbei, angeblich, auch dunkle Ecken sicherer machen. Lauter große Projekte, von denen manche von uns schon gehört haben, die für viele aber vielleicht noch fremd erscheinen. Gamification? Futuristischer Firlefanz?

 

Motivation oder Verführung.

Die meisten von uns sind schon mittendrin. „Es gibt viele Bereiche in unserem Alltag, die mithilfe von Gamification aufgeladen werden ohne dass wir es als Gamification erkennen.“, weiß Dr. Patrick Ruckdeschel. Der 43-Jährige Nürnberger Medienpädagoge hat über Videospiele promoviert und forscht an der Universität der Bundeswehr in München zum Thema Lernspiele. Er weiß, dass Gamification ein zweischneidiges Schwert ist: „Gamification ist ein tolles Mittel, um Leute zu motivieren. Aber man muss schon vorsichtig sein, denn leider wird Gamification zu ganz unterschiedlichen Zielen eingesetzt und nicht jedes Ziel ist pädagogisch wünschenswert.“

Payback oder TripAdvisor, das lustige Gewinnspiel auf der Kellog’s-Packung oder die 10er Stempelkarte beim Dönerimbiss – alles Rabattsysteme und Belohnungen, die im Prinzip nur zum Kaufen animieren sollen. „Gamification ist auch schon im Berufsleben angekommen, etwa wenn Amazon-Lageristen Bonuspunkte dafür bekommen, dass sie bei der Inventur keine Fehler machen“, so Dr. Ruckdeschel. Gamification wird also durchaus auch eingesetzt, um unattraktive Aktivitäten zu pushen und um Leistung zu steigern. Kein Wunder, dass Gamification auch im Bereich des Lernens ein Thema ist, denn auch Lernen ist mitunter harte Arbeit und macht nicht immer Spaß. Und tatsächlich kann Gamification hier gut funktionieren, etwa im Bereich der Lernspiele.

Was sind gute Lernspiele?

„Lernspiele können richtig gut sein.“ sagt Dr. Ruckdeschel „Vor allem, wenn die Gamification nicht nur ein Belohnungssystem ist, sondern gut zu den Lerninhalten passt, etwa wenn eine Aufgabe in eine spannende Geschichte eingebettet ist oder wenn der Inhalt vom Videospiel einfach besser vermittelt werden kann als von klassischen Lernmedien wie Büchern.“ Aber warum sollte das Videospiel das besser machen als das altehrwürdige Buch? Die Antwort liegt in den medialen Eigenschaften der Spiele, kurz in ihrer Interaktivität: Narrative Spiele mit einfachen Geschichten, die die Fantasie anregen und bei denen es Rätsel zu lösen gilt. „Im Buch kann ich zwar zurückblättern, wenn ich etwas nicht verstanden habe, aber ich kann es nicht neu ausprobieren, kann nicht experimentieren und kann mich nicht so schön an eine Lösung herantasten,“ sagt Dr. Ruckdeschel, selbst Vater von zwei Söhnen (5 und 7 Jahre alt). „Ich bin oft überrascht, mit wieviel Ausdauer und Kreativität meine Jungs ihre Ziele in den Lego-Videospielen verfolgen. Oft finden sie ihre eigenen Wege und sind dann richtig stolz auf sich, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Dabei ist es übrigens zweitrangig, ob ihr eigenes Ziel auch das Ziel des Spiels war. Der Lerneffekt ist vielmehr, dass sie sich als kompetent und erfolgreich empfinden. Das tut jedem Kind gut.“

Digitale Medien im Vorteil?

Sind Videospiele also ein Weg zum besseren Lernen? „Natürlich muss man hier klar unterscheiden, was gelernt werden soll. Geht es um klassische Schulinhalte oder geht es eher abstrakte Kompetenzen wie problemlösendes Denken oder einfach um die Freude darüber, dass die eigenen Ideen zum Ziel geführt haben?“ Für schulische Inhalte eignen sich also gut gemachte Lern-Apps. Für kreatives Experimentieren und Selbstwirksamkeitserfahrungen eher gut gemachte Videospiele. Für die Lerninhalte des schulischen Lehrplans sei jedoch nach wie vor die Schule als sozialer Rahmen mit pädagogischer Begleitung der beste Ort, „und ich halte nichts davon, schulische Defizite allein mit Lernspielen ausgleichen zu wollen.“ Lernspiele können allenfalls eine Ergänzung sein, und auch das nur dann, wenn ihre Nutzung von den Eltern begleitet wird.“ Das sollte eigentlich klar sein, aber oft werden Lernapps einfach so an die Kleinen weitergegeben. „Leider herrscht oft der Glaube vor, dass die App das dann schon alles alleine macht, aber das stimmt nicht“, warnt der Medienpädagoge.

Eltern mit an Bord.

Lernspiele brauchen die Begleitung durch die Eltern, genauso wie all die anderen Dinge, die Kinder im Alltag lernen. „Niemand gibt seinem Kind einfach ein Fahrrad oder eine Bastelschere und lässt die Sache dann unbetreut laufen. Bei Lernspielen und Videospielen muss es genauso sein.“ Zuallererst müssen sich also die Eltern schlau machen und verstehen, wovon die App oder das Spiel handelt. Konkret, wie man es spielt, was dort gemacht werden kann und schließlich, ob das Kind damit gute Erfahrungen haben kann. Klingt nach Arbeit – und ist es auch. Und die geht dann nach dem Spielen sogar noch weiter. So ist es wichtig, dass man beobachtet, was die Kinder aus dem Spiel mitnehmen. Worüber sprechen sie danach? Bauen sie bestimmte Situationen in ihr eigenes Spielen ein, entdecken sie unproblematische Rollenbilder, finden sie spannende Motive und Geschichten? Wenn das so ist, dann kann man durchaus von lehrreichem Videospielen sprechen. „Und hier liegt dann auch die große Chance für eine wirklich sinnvolle Gamification!“, so Dr. Ruckdeschel. Einfach, indem die Eltern die Faszination für die Spielinhalte in die reale Welt mit hinüber nehmen. „Das Videospiel kann der Ausgangspunkt für eigene Spiele sein, z. B. wenn die Welt von Harry Potter einen Anlass bildet, das mittelalterliche Rothenburg zu erkunden oder wenn Tolkiens ‚Kleiner Hobbit‘ stets präsent ist, wenn man urtümliche Höhlen in der fränkischen Schweiz erkundet.“ Ebenso wichtig sei jedoch auch, dass man erkennt, wann das Spiel nicht das richtige ist, oder ob zu lang gespielt wurde. Sind die Kinder aufgekratzt oder erschöpft? Können sie nicht wiedergeben worum es gerade ging? Dann war das Spiel meist zu schwer oder das spielen war zu lang. „Daher ist es so wichtig, dass man beim Spielen dabei ist. Man merkt dann sehr schnell, ob die Kinder damit Spaß haben und positive Erfahrungen machen.“ Der Appell des Medienpädagogen ist eindeutig: „Dabei bleiben und vorher schlau machen, liebe Eltern!“

Text: Katharina Wasmeier

Spiel-Empfehlung vom Experten:
Wie immer hängt das vom Kind ab, aber meine Jungs hatten eine sehr gute Zeit mit den Lego-Videospielen, z. B. mit Lego Harry Potter – die Jahre 1-4 (PC und Konsolen). Das Spiel inszeniert die ersten Bände von Harry Potter und ersetzt dabei alle gruseligen Szenen durch lustige Persiflagen. Es bietet viele leichte Rätsel, die jedoch immer so wirken als hätte man gerade etwas Magisches vollbracht. Außerdem bietet es neben der leicht verständlichen Story auch viel Raum für freies Spiel und eigene Ideen.

Ebenso kann ich Mario Kart 8 und Mario Party (beide auf Nintendo Switch) empfehlen. Mario Kart 8 bietet harmlose Rennfahrer-Action und man kann die Kindersteuerung („Schlausteuerung“) aktivieren, dann fährt das Kart fast schon von alleine ins Ziel. Bei Mario Party spielt man im Wesentlichen ein Brettspiel, das nach jeder Runde mit einem lustigen Minispiel aufwartet. Die Minispiele sind sehr abwechslungsreich und das Brettspiel ist ein schöner, gut strukturierender Rahmen für diese Action. Bei der Einweisung in die einzelnen Minispiele sollten aber unbedingt die Eltern helfen, da sich jedes Minispiel anders steuert. Insgesamt ist die Beschäftigung mit Spielen also erstmal harte Arbeit für die Eltern mit viel Recherche und viel eigenem Ausprobieren, aber wenn wenn man dann verstanden hat, wie man sie spielt und worin ihre guten Potenziale liegen, dann können sie ein sehr großer Spaß für die ganze Familie sein.

Unsere Tipps für digitales Lernen für Vorschul- und Schulkinder findet ihr im Artikel 7 tolle Lern-Apps für Kinder.

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