Don’t be a Jammerlappen!

Jammerfasten - ein Selbstversuch
Jammerfasten

Nörgeln tun wir im Alltag reichlich, oft mehr als uns bewusst ist. Obwohl’s nix bringt und überhaupt nicht guttut. Kann man das ändern? Mehr Einfluss nehmen auf seine Gedanken? Sie ins Positive lenken? Ein Selbstversuch.

Es gibt den Jammerlappen tatsächlich als Stoffpuppe – aus leberwurstgrauem Plüsch, mit verkniffenem Mund und aufgenähten schwarzen Augenringen. Herrje, so will man wirklich nicht aussehen. Jammern macht fade, Jammern hat eine miese Ausstrahlung und ist ziemlich unsympathisch. So sehe ich mich persönlich eigentlich nicht. Ich schätze mich als einigermaßen ausgeglichen, nett und höflich ein, ich beschwere mich nicht ständig übers Wetter, plärre nicht genervt „Zweite Kasse!“, wenn’s im Supermarkt länger dauert. Aber stopp! Insgeheim rege ich mich jedoch über die auf, die genau das tun. Schon erwischt! Dieses innerliche Augenrollen ist ja irgendwie auch eine Form von Jammern. Jedenfalls sind’s negative Gedanken, die ich zulasse. Wie oft mir das tatsächlich passiert, wird mir in den kommenden zwei Wochen bewusst. 

Jammerfasten - ein Selbstversuch

Für diesen Artikel habe ich mich entschlossen, Jammerfasten auszuprobieren. Offenbar ein Riesentrend, wie ich bei Recherchen im Netz und auf Instagram feststelle. Sinnfluencer geben Tipps zum Nicht-Nörgeln, Achtsamkeits-Coaches wie Peter Beer rufen regelmäßig zu gemeinsamen, begleiteten Anti-Jammer-Challenges auf. Ich probiere es allein, beherzige aber einen seiner Ratschläge: Ich nehme ein Armbändchen, das ich jedes Mal, wenn ich mich beim Jammern erwische, von einem Handgelenk aufs andere wechsle. Das soll mir helfen, mir meiner Gedanken bewusster zu werden, und gleichzeitig meinem Gehirn signalisieren: Aufgepasst! Wir etablieren hier eine neue Angewohnheit, bei der wir ab sofort negative Gedanken gegen etwas Positives austauschen. 

Am ersten Tag wandert das Armband gleich am frühen Morgen. Ich stehe im Auto an der Ampel, der vor mir fährt bei Grün nicht sofort los. „Fahr halt!“, motze ich laut vor mich hin. Im gleichen Moment ist es mir peinlich, ich schiebe ein „sorry“ hinterher (das natürlich niemand hört) und gelobe Besserung. Im Straßenverkehr reagiere ich häufig so, das passiert automatisch, muss ich mir eingestehen. Auch im Supermarkt, in der U-Bahn (…) bin ich schnell genervt. Ich sage zwar nichts, bin innerlich aber am Schimpfen – „Meine Güte, kann der Typ sein blödes Handy nicht auf lautlos stellen?!“ Das macht miese Laune. Ich möchte gegensteuern, was offen gestanden nicht so leicht ist. 

Lächeln statt Lamentieren

Auf Knopfdruck positiv zu denken, fühlt sich manchmal verkrampft und unecht an. Ich versuche es mit dem Modus „neutral“ und gehe durch den Alltag mit einem neuen Mantra: Rege dich nicht über Dinge auf, die du nicht ändern kannst. Das funktioniert erstaunlich gut. Kein Parkplatz in Sicht? Fluchen wird keinen herbeizaubern, also Durchschnaufen und eben noch eine Runde drehen. Die Schlange am Postschalter ist mal wieder ewig lang? Lächeln statt Lamentieren. Die Nachbarin regt sich über eine andere Nachbarin auf, und ich tappe nicht in die Falle, es ihr gleichzutun. Achselzucken, „Ist halt so!“. 

Langsam komme ich zu der Erkenntnis, die viele beim Jammerfasten beschreiben: Es tut gut, sich bewusst fürs Nicht-Jammern zu entscheiden. Man spürt, dass man einige Dinge selbst in der Hand hat. Die Wahl, sich zu ärgern (und dadurch Zeit zu verschwenden) oder den Fokus auf etwas Positives oder zumindest Neutrales zu lenken. Auf die härteste Probe während meiner Anti-Jammer-Challenge stellt mich die Deutsche Bahn. Zug unpünktlich, Sitzplatzreservierungen futsch, Anschluss verpasst. Ich gebe zu, das Armbändchen wanderte an diesem Tag nicht nur einmal … 

Manchmal will man sich eben einfach aufregen, das gemeinsame Seufzen und Kopfschütteln mit den Mitfahrern schafft zudem so ein verbindendes Wir-bedauernswerte-Opfer-Gefühl. Im Nachhinein und von außen betrachtet empfinde ich mich dabei als ziemlich unsympathisch und jammerlappig. So will ich nicht sein! Das Armband bleibt also auch nach den zwei Fastenwochen dran. Und vielleicht kauf ich mir als zusätzlichen Reminder die Jammerlappen-Puppe. 

Text: Manuela Prill

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