Frühkindlicher Spracherwerb
Sogenannte Lernfenster ermöglichen Kindern, sich neues Wissen besonders einzuprägen. Diese Zeit vor der Schule will Martina Schäfer nutzen. Seit 2005 bietet sie im Nürnberger Raum Englischkurse für Kinder an – auch in Kindergärten:
Mehrsprachig aufwachsen
Liora ist die geborene Übersetzerin. Wenn sie bei Oma und Opa zu Besuch in Franken sind und ihr Papa nicht alles versteht, kommt es immer wieder vor, dass sie das Gesagte eben mal für ihren amerikanischen Papa übersetzt. Liora ist drei Jahre alt. Sie lebt in Kalifornien. Seit ihrer Geburt halten sich ihre Eltern Allessia und Billy an folgende Regel: Sie spricht mit den Kindern Deutsch, ihr Mann Englisch. „Wenn ich mit ihnen allein bin, singen, lesen, spielen und reden wir nur Deutsch“, sagt Allessia de Martini. Beim gemeinsamen Essen wird dann geswitcht. Immer, wenn alle vier zusammen sind, wird Englisch gesprochen. „Wenn die Kinder mich dann aber etwas fragen, antworte ich auf Deutsch.“ Was Allessia in ihrer Familie lebt, wird in der Fachwelt als „one person – one language“ definiert. „Das habe ich seit Geburt sehr kontinuierlich gemacht, weil ich meine Kinder nicht verwirren wollte“, sagt sie. Angst, ihre Kinder zu überfordern, hatte sie aufgrund der bewussten Aufteilung nie. Für Familie de Martini zählt: „Consistency is the key.“
Neugier als Motivation
Diese Erfahrung teilt auch Martina Schäfer. Sie beobachtet die Fördermöglichkeiten für Kinder nicht nur in ihrem privaten Umfeld. Die Übersetzerin und Dolmetscherin hat eine Vision: Kinder so früh wie möglich in die englische Sprache eintauchen lassen. Für Schäfer ist es eine große Chance, wenn Kinder mit ihrer Neugier und intrinsischen Motivation früh mit einer zweiten Sprache konfrontiert werden. Aus diesem Grund hat sie vor 15 Jahren „the little language company“ für den Raum Nürnberg mit einer Kollegin gegründet. Für sie ist der entscheidende Lernansatz: „Die Kinder dürfen in die Sprache eintauchen.“ Die Kinder würden Englisch mit allen Sinnen erfahren, sagt Schäfer.
Lernfenster für Sprachentwicklung
Und das zu einem als sensibel bezeichneten Zeitpunkt der Entwicklung, in dem das Lernfenster für Sprachentwicklung geöffnet ist – ab dem zweiten Lebensjahr und bis etwa zum Schulstart. Englisch lernen die Kinder mit Martina Schäfer spielerisch in Rollenspielen oder mit Hilfe von Gegenständen – mit Spielzeugautos, wenn es um die Feuerwehr geht, mit Obst und Gemüse, wenn Erntedank bevorsteht. Dabei liegt der Fokus nicht auf dem „Lernen“ im Sinne von Grammatikregeln und Vokabelpauken. Sondern es geht um das Verinnerlichen einzelner (später auch zusammenhängender) Worte und der Aussprache auf der unterbewussten Ebene. Es sei nicht selten, dass Kinder auch noch am Nachmittag im Rollenspiel englische Begriffe verwenden würden, obwohl „die Englisch-Martina“ schon wieder weg ist, erzählt sie.
Eltern als Sprachlehrer?
Wovon die Nürnbergerin wenig hält: Wenn Kinder in nicht professionellen Kursangeboten oder kurzfristigen Projektgruppen erste Erfahrungen mit Englisch – oder auch einer anderen Sprache – sammeln. Eltern, die sicher in einer zweiten Sprache seien, könnten durchaus mal ein englisches Buch oder Kinderlied in den Alltag einbauen, um die Lust auf eine zweite Sprache zu wecken. Dies sei aber nicht zu verwechseln mit dem „Sprachbad“, das durch eine Fachkraft oder Muttersprachler geboten werden könne. Martina Schäfer macht klar: „Sprachen lernen dauert.“ Wenn eine zweite oder auch dritte Sprache ein normaler Teil des Alltags ist, ist es wahrscheinlich, dass diesen Kindern Englischlernen in der Schule leichter fällt. „Es gibt keine Garantie, dass das Kind ein Englisch-Crack wird“, sagt Schäfer.
Billingual Aufwachsen
Es gibt auch Kritiker der Fremdsprachen-Frühförderung im Kindergarten(alter), die beispielsweise davon abraten, eine zweite Sprache ins Spiel zu bringen, bevor ein Kind sicher in der eigenen Muttersprache ist. Zahlreiche Studien belegen mittlerweile aber durchaus, dass Kleinkinder zwei Sprachen erfassen und zwischen mehreren Sprachsystemen wechseln können. Dies erlebt auch die fränkische Familie in Kalifornien im Alltag: „Ich bin immer wieder begeistert, wenn Liora mir etwas auf Deutsch erzählt, dann dreht sie sich um und spricht mit ihrem Papa Englisch. Manchmal merkt man richtig, wie sie überlegen muss“, sagt Allessia. Dabei lässt sich ein bilinguales Aufwachsen wie bei Familie de Martini nicht mit den Fortschritten durch Englischkurse für Kleinkinder vergleichen – und das will Martina Schäfer auch überhaupt nicht. Messen lassen sich Erfolge aufgrund eines Englischkurses im Kleinkindalter also nur bedingt. Oft seien es Alltagsmomente wie bei einem Zoobesuch, in dem das Gelernte plötzlich aus den Kleinen heraussprudelt: „Look, mummy, an elephant.“
Bei Familie de Martini war es im Herbst die Kastanie, die die zweisprachigen Eltern zum Schmunzeln gebracht hat: „Als wir uns ein deutsches Hörbuch angehört haben, wollte mein Mann später wissen, worum es ging. Liora schaute mich an und sagte: ,Cästäniä‘.“ Sowohl ihr Papa als auch die Dreijährige selbst werden die richtige Übersetzung – „chestnut“ im Englischen – nach dieser Momentaufnahme wohl nicht mehr vergessen.
Text: Sarah Seewald