Politikverdrossenheit

- oder unbemerkte Revolution?
Politik und Engagement

Grundsätzlich geht es uns, verglichen mit anderen, gut. Ziemlich gut sogar. Und grundsätzlich ist sich darüber auch unsere Jugend im Klaren. Das hat eine Studie der SPD-nahen Friedrich- Ebert-Stiftung ergeben. Mit den
politischen Parteien allerdings – und zwar egal welcher Couleur – sind 74 Prozent so gar nicht zufrieden. Das wiederum bedeutet nicht zwangsläufig eine jugendliche Politikverdrossenheit. Unsere Autorin hat nachgedacht – und ihre ganz persönlichen Überlegungen aufgeschrieben.

Parteipolitik an Jugendlichen vorbei

Das Jahr 2020 hat es deutlich gezeigt: Unsere Kinder und Jugendlichen stehen – gesamtgesellschaftlich
gesehen – nicht gerade im Fokus unseres Handelns. Oder wie es die „Zeit“ ausdrückt: „In jenem Frühjahr, als Deutschland sich entschied, die Jungen nicht mehr wie seine Zukunft zu behandeln, sondern wie ein Infektionsrisiko.“ Und wenn diese jungen Menschen sich dann nicht mehr still fügen, sondern auch noch anfangen, unbequem zu werden, wenn sie für ihre Zukunft kämpfen, weil sie es sind, die auf diesem Planeten noch eine Weile verbringen werden, dann sagt man ihnen, sie sollten sich doch lieber in der Politik engagieren.
Schon vor Jahren zeigte sich in Studien, dass Jugendliche nicht per se politikverdrossen sind, sondern ihnen, gelinde gesagt, die Parteipolitik mit ihrem Machtgeklüngel auf die Nerven geht.

Die junge Generation ernst nehmen

Klar, kann man sich darüber aufregen, wenn sich mal wieder einer auf die Straße klebt. Und erst recht kann man Unverständnis zeigen, wenn er dabei noch Rettungswagen ausbremst. Auch, wenn man sich auf der anderen Seite erstaunlicherweise gar nicht darüber aufregt, dass unser Gesundheitssystem an jeder Ecke krankt, was die Versorgung von Notfällen auch nicht gerade einfacher macht. Und natürlich kann man sich auch darüber aufregen, wenn Jugendliche, statt aufgeräumt in der Schule zu sitzen, demonstrieren. Und wenn sie es dann noch wagen, irgendwann einmal in den Urlaub geflogen zu sein, dann kann man ihnen auch noch Verlogenheit vorwerfen. Genau wie dann, wenn sie – obwohl sonst vegan oder zumindest vegetarisch – ausnahmsweise mal ein Stück Braten essen. Aber man kann es auch von der anderen Seite betrachten. Wie frustrierend ist es, wenn man versucht, es besser zu machen, aber dauernd ausgebremst wird? Wenn man trotz unschlagbarer Argumente nicht ernst genommen wird?

Wenn man sich Bio gar nicht leisten kann und keine Möglichkeit mehr sieht, auf dem gängigen
Weg mit dem uns üblichen Tempo noch irgendetwas zu erreichen? Wenn man sich gezwungen fühlt, das Privileg der Jugend in Anspruch zu nehmen, aus der Reihe zu tanzen und zu drastischeren Maßnahmen zu greifen? Die einen – während bei den anderen vielleicht doch Politikverdrossenheit aufkommt?

sichtbar, nützlich wirken

Schaut man sich mal das Politiklexikon der Bundeszentrale für politische Bildung an und schlägt dort das Wort Politikverdrossenheit nach, dann kommt Folgendes: „Dafür spricht, dass zum Beispiel die Mitgliedszahlen der
Parteien abnehmen und Umfragen (gerade bei Jugendlichen) allgemeines Desinteresse verzeichnen; dagegen spricht, dass (gerade Jugendliche) sich außerordentlich stark (zivil-) gesellschaftlich und vor allem dort engagieren, wo sie sichtbar nützlich mitwirken können.“ Eine Umfrage der BAT – Stiftung für Zukunftsfragen etwa ergab, dass sich rund ein Drittel der Jugendlichen in Deutschland ehrenamtlich engagiert, vor allem in Umweltschutzorganisationen und Menschenrechtsgruppen. Zum gleichen Ergebnis kommt übrigens auch eine Studie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

Engagement statt Partei

Und auch hier zeigt sich: Nach Lösungen für gesellschaftliche Probleme und den Klimawandel suchen junge Menschen nicht mehr in der etablierten Politik. Gerade mal jeder Zehnte spielt überhaupt mit dem Gedanken, in eine Partei einzutreten. Stattdessen aber sind sie bestens vernetzt. Sie sammeln Spenden, starten Petitionen und organisieren Aktionen. Unbemerkt von einer Generation, die auch auf diesem Gebiet oft lieber einer alten Tradition folgt und sich lautstark über die Jugend von heute aufregt. Eine Jugend, die es, wenn wir so weitermachen wie bisher, morgen vielleicht gar nicht mehr geben wird.

Text Simone Blaß

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