Weihnachten in der JVA

Warten auf alles. Nur nicht aufs Christkind.
JVA, Gefängnis

Protokoll Katharina Wasmeier, ELMA #13 Dezember 2021

Die Justizvollzugsanstalt Nürnberg ist mit insgesamt 1153 Haftplätzen die zweitgrößte Justizvollzugsanstalt des Freistaates Bayern nach der Justizvollzugsanstalt München. 45 dieser Plätze sind für jugendliche Straftäter in U-Haft reserviert. Sozialpädagogin Sabine Schnee ist für die jungen Männer zwischen 14 und 21 Jahren oft Mutterersatz, Freundin und Beichtvater in Personalunion. Sie weiß: „Wenn dein ganzes Leben nur aus Warten besteht, wartest du nicht extra aufs Christkind.“

Keine Besuche, keine Feier, keine Geschenke

„Keine Besuche, keine Feier, im Prinzip auch keine Geschenke – das einzige Gimmick, das die Jugendlichen zu Weihnachten bekommen, ist, dass sie eine Stunde weniger eingeschlossen werden … Das Leben hier folgt sehr strengen Regeln, ein Tag kann dann so aussehen: 6 Uhr Aufschluss, 6.45 bis 7.45 Uhr Hofgang, 7.45 Uhr Arbeitsbeginn, 15.30 Uhr Arbeitsende, 16.30 Uhr Kostausgabe und sowas wie Freizeit, 19 Uhr Einschluss. In U-Haft bedeutet das bis auf wenige Ausnahmen: allein in einer kleinen Zelle sitzen – und warten. Das ist symptomatisch für den Aufenthalt hier. Man wartet auf den nächsten Tag, den Anwalt, die Familie, den Anruf, den Richter, den Verhandlungsbeginn. Zwei Monate oder zwei Jahre. Das zermürbt, und wenn man überleben will, muss man sich mit der Parallelwelt hier so gut es geht arrangieren.

Weihnachten ist emotional behaftet

Das bedeutet aber auch, dass nicht viele Ressourcen übrigbleiben für ein Ereignis wie Weihnachten, das natürlich auch für Jugendliche aus zerrütteten Verhältnissen emotional behaftet ist. Wie sehr, das lassen sie sich freilich lieber nicht anmerken, denn das käme einem sozialen Selbstmord gleich. Es gehört aber natürlich zu meiner Arbeit als Sozialpädagogin dazu, hinter die harte Fassade zu blicken und den Jugendlichen aufzufangen, wenn er abzustürzen droht. Deswegen starte ich kurz vor Weihnachten traditionell meinen Zellenrundgang, verabschiede mich, schaue, wie die Jungs so drauf sind, und spende ihnen gegebenenfalls Trost. Die Verzweiflung kommt erst ungefähr nach der Hälfte des Gesprächs raus, aber glaub mir: Du musst richtig fertig sein, um hier zu zeigen, wie es dir geht.

Antrag auf Gottesdienst

So etwas wie eine kleine, 90-minütige Weihnachtsfeier gibt es bei uns auch, die ist aber im Gegensatz zu dem Symphoniker Konzert, das ausgewählte Gefangene besuchen dürfen, weniger festliche Belohnung als vielmehr ein gruppendynamischer Kniff mit Gruppenspielen. Dafür kann den Gottesdienst besuchen, wer mag – und den entsprechenden Antrag gestellt hat. Den braucht man hier für alles, auch der elterliche Weihnachtsanruf oder der an die Freundin muss richterlich gestattet werden. Besuche, die je nach Alter des Gefangenen zwei bis vier Stunden pro Monat betragen dürfen, ohnehin.

Die Zeit rumbringen

Wenn du Glück hast, schickt dir zu Weihnachten jemand Geld, mit dem kannst du dir dann mal was Besonderes gönnen von der recht überschaubaren Gefängnis-Einkaufsliste, ansonsten gibt es Plätzchen, Mandarinen und für die Mittellosen ein kleines Paket von der Kirche. Die Jungs versuchen dann das Beste draus zu machen und die Zeit rumzubringen – mit Spielen oder Sport, denn um die Feiertage herum wird nicht gearbeitet. Da können die Tage lang werden. Stell dir vor: Von einem Moment auf den anderen bist du nicht mehr frei, und nicht nur physisch eingesperrt, sondern auch noch einer festen Struktur unterworfen, bekommst Regeln und Probleme, wenn du dich nicht daran hältst, und wenn du dich wehrst, wird alles noch schlimmer. Also schwimmst du mit. Ob der Tag dann ,Mittwoch‘ heißt oder ,Weihnachten‘, das spielt eigentlich keine Rolle. Gewartet wird eh. Aufs Christkind am wenigsten.“

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