Veränderungen

Kinder bei Übergängen begleiten
Kindererziehung

„Das Kind hat einfach häufig andere Ideen als wir Erwachsene“

Aus dem Bett an den Frühstückstisch ins Auto zum Kindergarten: Den Alltag vieler Kinder bis 6 Jahre bestimmen Veränderungen. Doch es gibt auch große Veränderungen im Leben eines Kindes – etwa ein Umzug oder ein Todesfall in der Familie. Stellt sich die Frage: Wie viel Veränderung ist gut für ein Kind? Und gibt es Veränderungen, bei denen Erwachsene ihre Kinder beschützen müssen? Ein Gespräch mit der Nürnberger Diplom-Pädagogin Sonja Wolfrum. Die 39-Jährige arbeitete als Erzieherin in einer Krippe und in einem Familienzentrum in Berlin. Derzeit macht sie ihre Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin.

Liebe Frau Wolfrum, früher liefen die Menschen durch die Steppe und der Alltag hatte gar keine Struktur. Heute scheint jede kleine Veränderung im Tagesablauf Kinder schon aus der Bahn zu werfen. Zumindest liest man es. Was ist da schiefgelaufen? Oder machen nur wir Erwachsenen so ein Gewese um Veränderungen?
Wie bei allem kommt es darauf an, wie die Veränderungen begleitet werden, was unter Veränderung konkret zu verstehen ist. Also sprechen wir von Veränderung durch verschiedene Orte zu verschiedenen Zeiten und durch verschiedenene Situationen an einem Tag? Oder sprechen wir von Veränderungen, wenn Familien umziehen oder sich Bezugspersonen verändern? Da gibt es einfach große Unterschiede. Wenn Kinder wichtige Bezugspersonen an ihrer Seite haben, sind Veränderungen auch gut und machbar.

Das erleben viele Eltern beim Anziehen für den Kindergarten eher anders. Oder sind diese Wechsel von Ort zu Ort gar nicht das Problem?
Ich würde nicht sagen, von einem Ort zu einem anderen Ort, sondern von der einen in die andere Situation. Und das Kind hat häufig andere Ideen als wir Erwachsene. Dadurch kommt es ja häufig zu Konflikten. Wenn Erzieher*innen mit Kindern zum Beispiel vom Gruppenraum in den Garten gehen wollen, kommt es oft zu Enttäuschungen beim einen oder anderen Kind, weil das Kind vielleicht gerade im Gruppenraum spielt oder einfach an einer anderen Sache dran ist.

Also stecken Kinder Veränderungen doch gut weg und wollen nur nicht?
Jein, es ist immer schwierig in der Pädagogik, etwas zu verallgemeinern. Jedes Kind ist anders. Das sieht man schon bei Geschwisterkindern, die eigentlich unter vermeintlich gleichen Voraussetzungen aufwachsen – gleiches Umfeld, gleiche Eltern. Trotzdem können sie sich sehr in Temperament und Persönlichkeit unterscheiden. Somit lässt sich nur schwer sagen, ob Veränderungen generell gut oder schlecht sind, weil es immer wichtig ist, das Kind zu beobachten und zu schauen: Was braucht das Kind in der jeweiligen Situation?

Mehr lässt sich da nicht machen?
Ich finde es auch für Eltern spannend, mal bei sich selbst zu überlegen: Was brauche ich, um von der einen Situation in die nächste Situation zu gehen? Wenn wir uns jetzt einen stressigen Arbeitsalltag mit vielen Terminen vorstellen: Was brauchen wir selbst, um gut von einem in den nächsten Termin zu kommen? Natürlich braucht ein Kind noch einmal ein wenig mehr, aber die Basis sollte sein: Stress rausnehmen, dem Ganzen mehr Zeit geben. Wenn Eltern unter Zeitdruck Kinder abholen, brauchen wir nicht lange überlegen, was die Folge sein wird. Das spüren die Kinder.

Also nur Stress raus und alles gut?
Wichtig im Kleinkindalter ist vor allem die sichere Bindung. Auf dieser Grundlage gelingt es den Kindern auch gut, sich auf neue Situationen einzulassen. In der Fachsprache sprechen wir vom Explorationsverhalten. Dieses Verhalten ist gut bei der Eingewöhnung eines Kindes in der Krippe zu beobachten. Die Bezugsperson ist zu Beginn mit im Raum und gibt dem Kind Sicherheit. Auf dieser sicheren Basis gelingt es dem Kind dann, sich zu lösen und den neuen Raum zu erkunden. Wie lange dieser Prozess dauert, unterscheidet sich aber wieder von Kind zu Kind. Neues entdecken, mit Neugier und Offenheit die Umgebung erkunden, das ist wichtig für die kindliche Entwicklung. So lernen sie, bekommen ein eigenes Bild von der Welt und machen neue Erfahrungen.

Das sind alles kleine Veränderungen – zumindest für uns. Was ist denn bei größeren Themen wie Umzug oder einem Todesfall in der Familie? Und bedeuten Kindern im Vorschulalter Freundschaften überhaupt schon so viel?
Wenn wir von Kindern im Vorschulalter sprechen, haben wir eine große Altersspanne von null bis sechs oder auch sieben Jahre. Aber wir erleben es schon, dass es da feste Freundschaften gibt, die natürlich sehr wandelbar sind. Also diese Sätze: Heute bist du mein Freund, heute bist du nicht mein Freund. Aber Kinder können da schon feste Beziehungen aufbauen. Und manchen Kindern würde es durchaus schwerfallen, Freunde zurückzulassen. Es ist sehr individuell, wie Kinder damit umgehen. Da spielen auch die Eltern als Vorbilder eine wichtige Rolle. Kinder schauen: Wie gehen meine Eltern mit Veränderungen um? Freuen sie sich darauf? Haben sie Angst davor? Ganz wichtig ist auch das Schlagwort Resilienz.

Was meinen Sie damit genau?
Das ist die Widerstandsfähigkeit von Kindern. Sie sagt viel darüber aus, wie Kinder mit bestimmten belastenden Situationen umgehen können. Jedes Kind hat Schutz- und Risikofaktoren, die aus der Balance geraten können. Und das gilt natürlich auch für große Veränderungen wie z.B. Todesfälle in der Familie. Wir haben keinen Einfluss darauf, wie das Kind selbst trauert, also ob es weint oder vielleicht keine Reaktion zeigt. Aber wir können es zum Beispiel in die Trauer einbeziehen, können es an der Trauer teilhaben lassen.

Nicht einfach, oder?
Das ist ein schwieriges Thema für Eltern. Sie möchten das Kind schützen und häufig heißt es aber im Nachhinein, dass beispielsweise nie über den Tod des Opas gesprochen wurde, dass Trauer hinter der Tür oder im Heimlichen ausgelebt wurde. Was schade ist, denn auch davon können Kinder lernen. Es ist ein falscher Anspruch, Kindern jegliche Probleme und Belastungen wegnehmen zu wollen.

Warum?
Lernen, was ein guter Umgang damit ist, kann vielmehr dazu führen, gestärkt aus schwierigen Situationen hervorzugehen. Und somit gewappnet für neue Herausforderungen zu sein, denn davon hat das Leben noch genug zu bieten.

Interview: Björn Bischoff

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