Familiengeheimnisse

von Vertrauen, Loyalität und Ehrlichkeit
Geheim

Pssst … geheim!
Manche Geheimnisse sind ziemlich gut, andere alles andere als das: Wenn es um Schaden oder Verletzungen geht, ist lieber ganz schnell Schluss mit Heimlichtuerei. Doch wo verläuft die Grenze – und was kann ich tun, damit sie nicht überschritten wird?

Das Geheimnis - eine Frage des Vertrauens

Es gibt ganz tolle Geheimnisse: die Überraschungsparty für den kleinen Bruder, ein Geheimbund in der Schule oder das Wissen um den Schwarm der besten Freundin. Da hält man dicht. Da dringt kein Wort über die Lippen, so etwas wird nicht ausgeplaudert. Eine Frage des Vertrauens – ganz klar. Und dann gibt es Geheimnisse, die sind von gut schon ein ganzes Stück entfernt, haben aber auch ganz viel mit Vertrauen zu tun. Und mit Freundschaft – denn geteilte Geheimnisse sind wie ein Band zwischen zwei Menschen. Verraten geht da gar nicht. Zum Beispiel, wenn man in der Grundschule als Einzige weiß, dass die Freundin manchmal nachts noch ins Bett macht. Oder später der beste Kumpel sich unsterblich und völlig hoffnungslos in die Englischlehrerin verliebt hat.

Wenn einem das Geheimnis zu Schaffen macht

Und dann gibt es noch die richtig schlechten Geheimnisse. Die, bei denen etwas absolut nicht in Ordnung ist, möglicherweise sogar Strafe nach sich ziehen würde. Geheimnisse, die einem ziemlich zu schaffen machen können. Und die manchmal zusätzlich mit unterschwelligen Drohungen verbunden sind. Ein Geheimnis, bei dem ein anderer droht, es würde etwas Schlimmes passieren, wenn man es verrät, das kann nicht gut sein. Und zwar nie und auf keinen Fall. Beispiele gibt es viele, das wohl schlimmste ist sexueller Missbrauch. Aber selbst, wenn es nicht ganz so heftig kommt: Auch eine Oma, die den Kindern etwas erlaubt, von dem sie weiß, dass die Eltern es nie gutheißen würden und die Kinder dann mit einem „Das verraten wir der Mama und dem Papa jetzt nicht“ zum Schweigen bringen möchte, macht sich schuldig. Denn das, so Konstanze Butenuth vom Deutschen Kinderschutzbund, bringe das Kind in einen Loyalitätskonflikt.

Geheimnis gegen Ehrlichkeit?

Wir alle möchten, dass unsere Kinder ehrlich zu uns sind und Vertrauen haben. Aber wie bringen wir ihnen bei, dass es auch Dinge gibt, die sie uns nicht erzählen müssen, und andere, die sie unbedingt erzählen sollten? Auch wenn ein Erwachsener ganz verschwörerisch gesagt hat, das bliebe ihr „kleines Geheimnis“, oder ein „Großer“ damit gedroht hat, jeden zu vermöbeln, der verrät, dass er es ist, der den Kleinen immer das Pausengeld abknöpft. „Wenn Geheimnisse, die bewahrt werden sollen, Bauchdrücken oder Angst machen, dann sind sie schlecht und Kinder sollten sich einer erwachsenen Person anvertrauen“, fasst es Konstanze Butenuth zusammen, die das Projekt Starke Eltern – Starke Kinder® Digital leitet.

Schlechte Geheimnisse

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten im Alltag, ein Kind bereits von klein auf für gute oder schlechte Geheimnisse zu sensibilisieren. Ihr könnt mit Bilderbüchern arbeiten und zusätzlich bei den verschiedensten Gelegenheiten ohne viel Drumherumgerede oder irgendwelche Angstszenarien mal kurz darauf eingehen, dass dies oder jenes ein gutes oder ein schlechtes Geheimnis wäre. Am besten übt ihr immer mal wieder mit kindgerechten Geschichten, Geheimnisse richtig einzuordnen. Wichtig ist auch, dass das Kind weiß, dass es sich alternative Gesprächspartner suchen darf – wie den noch jungen Patenonkel oder die große Schwester. Man denke nur an einen angehenden Teenager, der in einer vermeintlich harmlosen WhatsApp-Gruppe plötzlich und völlig unerwartet mit pornographischen und verstörenden Inhalten konfrontiert wird und er oder sie sich im Leben nicht vorstellen kann, überhaupt mit seinen Eltern über Sex zu sprechen.

Zusammen einen moralischen Kompass entwickeln

Und ganz wichtig: feinfühlig sein, wenn es mal zu einer Beichte kommt. Denn so manches Mal hat auch das Kind etwas angestellt, sich mies verhalten, (mit-)gemobbt zum Beispiel. Druck und Strafe sind der falsche Weg. „Stattdessen sollten Eltern ihre Kinder dabei unterstützen, sich zu entschuldigen oder die Fehler wieder gutzumachen. Sonst trauen sich die Kinder beim nächsten Mal nicht, sich anzuvertrauen. Es ist wichtig für sie, zu wissen, dass ihre Sorgen und Nöte ernstgenommen werden, die Eltern für sie da sind und hinter ihnen stehen. Ihre Geheimnisse sollten vertraulich behandelt werden, wann immer das möglich ist. Das gilt natürlich nicht bei Straftaten oder Geheimnissen, bei denen eine Person Schaden nimmt“, so Konstanze Butenuth. Wenn es allerdings darum geht, Probleme untereinander zu lösen, sollten die Eltern sich nicht einmischen. Mit dem Kind oder Jugendlichen reden sollten sie allerdings schon – ohne abzuwerten und lösungsorientiert. Denn so lernt man am besten, einen eigenen moralischen Kompass zu entwickeln. Und den kann man schließlich sein Leben lang gut brauchen.

Vertrauen ist die beste Schutz-Basis

Es kommt übrigens vor, dass auch Scham der Grund für das Schweigen ist. Das Gefühl, schuld zu sein, wenn jemand anderes etwas Schlechtes mit einem macht. Trägt das Kind das schlechte Geheimnis mit sich herum, dann kann das ziemlich starke Auswirkungen haben. „Häufig sind die Anzeichen diffus und unterscheiden sich individuell stark. Es könnte zum Beispiel sein, dass das Kind schlecht isst, wenig lacht und ganz plötzlich sein Verhalten verändert. Die einen ziehen sich zurück, die anderen agieren es aus, werden verhaltensauffällig. Grundsätzlich hilft es, immer wieder zu signalisieren: Ich bin für dich da, du bist mir wichtig.“ Denn Vertrauen ist die beste Schutz-Basis. Für alles.

Text: Simone Blaß, ELMA #15 April 2022

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