Fränkische Soziolekte

A lechum mit Schmierling!
Sprachschild

Manisch, Massematte, Pleißne – überall in Deutschland gibt es kleine Sprachinseln, in denen Menschen etwas sprechen, das sich für Außenstehende höchst geheimnisvoll anhört. Das ist viel weniger Zufall als in den meisten Fällen größte Absicht. Im westlichen Mittelfranken gibt es mit dem Schillingsfürster Jenisch und dem Lachoudisch aus Schopfloch gleich zwei dieser sogenannten „Soziolekte“ – und waschechten Geheimsprachen.

Hebräische Lehnwörter

„Gleistrampelmarodepink“ ist das Lieblingswort der Schillingsfürster – und bestimmt auch ein bisschen von Prof. Dr. Alfred Klepsch, der sich nicht nur Zeit seines Lebens mit Dialekten und Sondersprachen beschäftigt hat, sondern über „Jiddisch in Mittelfranken“ habilitiert. Dass unsere Sprache mit Massel, Blaumachen oder Mischpoke voller hebräischer Lehnwörter ist, weiß keiner besser als der Linguist – und dass sich aber mancherorts Jiddisch und Deutsch zu einer eigenen Sprache vermischt haben, auch. So wie in Schopfloch, einer knapp 3000 Einwohner kleinen Markt in Mittelfranken rund eine Autostunde südwestlich von Nürnberg, in der das sogenannte „Lachoudisch“ so konzentriert und fest im Sprachgebrauch verankert ist wie kaum anderswo. Hier zählt man olf, bejs, gimel, dolet, hej, fouf, sojn, kess, tess, jus, heißen Monate Adar, Kislev, Elulli und Farben chum, schachor oder zahov – zumindest (noch) bei den Alten.

Lachoudisch in Schopfloch

Aber wie kommt es, dass ausgerechnet in einem kleinen Ort nahe Ansbach „Was schuckt die Bore?“ sagt, wer wissen will, wie viel eine Kuh kostet? Die Antwort verbirgt sich schon im Beispiel: „Lachoudisch ist gewissermaßen eine Mischung aus Hebräisch und deutscher Grammatik“, so Klepsch. Im 18. Jahrhundert suchten vertriebene Juden Schutz beim Markgrafen von Ansbach. In Städten durften sie nicht wohnen, die Arbeit in Landwirtschaft oder Handwerk war ihnen verboten, zum Geld verleihen fehlte das Kapital, „es blieb also wenig anderes als das Hausieren, der Handel mit Waren oder Vieh auf dem Land.“ In ganz Bayern geht es den Juden ähnlich – und so entwickelt sich eine gemeinsame Sprache, die es ihnen einerseits ermöglicht, sich untereinander zu verständigen, andererseits, ohne dass fremde Ohren lauschen. „Preisabsprachen oder Insiderwissen – die Kuh ist lahm, der Bulle müde? Kein Problem, wenn die anderen Händler nichts mehr verstehen“, weiß Dr. Alfred Klepsch, der Anfang der 90er Jahre in Schopfloch das Lachoudisch erforscht hat.

Dialektsterben

Und neben vielen tollen Erkenntnissen auch eine traurige hat: „Die Sprache hat die Schwindsucht bekommen. Sie stirbt aus.“ Eine Sprache, mit der man heutzutage nirgendwo mehr etwas anfangen kann als im eigenen, kleinen Ort, hat es schwer. Der Bürgermeister versucht sich in Wiederbelebung, der Faschingsverein Medine hält die Fahne hoch – und ein Wörterbuch bereit: Bore heißt Kuh, Schuck ist die Mark. Masslebrouche das Glück im Geschäft, Nakejfe ein Mädchen, das vielleicht nach dem schwoofen (tanzen) mit ihrem Schejchets (Freund) vom Gallach (Pfarrer) geschiddicht (verheiratet) wird – und der Schejechts sich hoffentlich nicht als Fachaan (Nichtsnutz) oder Fiesl (übler Kerl) herausstellt, denn das wäre wirklich keine Hiffelefuhnem (Nebensächlichkeit) … Doch nach und nach verschwindet diese mittelfränkische Besonderheit.

Jenisch in Schillingsfürst

Ganz ähnlich geht es dem Schillingsfürster Jenisch: eine waschechte Gaunersprache, die auch „Rotwelsch“ genannt wird und auf der ganzen Welt verbreitet ist. Auch diese Geschichte beginnt wie die vieler sogenannter „Sprachinseln“ mit Krieg, Vertreibung oder Unterdrückung – und der Möglichkeit, sich über Sprache einerseits abzugrenzen, andererseits über Grenzen hinweg zu verbinden. Denn es ist vor allem das fahrende Volk der Sinti und Roma, der Musiker und Gaukler, der Kesselflicker und Lumpensammler, die nirgendwo daheim waren und deshalb gewissermaßen ihre Heimat in der Sprache fanden. Ein Phänomen, das es überall auf der Welt gibt und in Irland „Shelta“ heißt, in Spanien „Merchero“ und in der Türkei „Alinin Uşağının Tekellümi“. Während viele von ihnen, v. a. aber Kriminelle wie fahnenflüchtige Soldaten des 30-jährigen Kriegs (1618-1648) sich in die Wälder absetzten und dort die bis heute berühmten Räuberbanden gründeten, fanden andere Orte, an denen sie sich niederlassen konnten – wie das schöne Schillingsfürst, dessen Fürst 1717 hier weniger eine gute Tat verübte als vielmehr eine kriegstaktische Entscheidung traf.

Rotwelsch und die Geheimsprache

Plötzlich war das Rotwelsch da – und mit ihm eine waschechte Geheimsprache, die bis heute zwar zunehmend weniger erklingt, aber in der Stadt überall sichtbar ist. „Eine Verballhornung des Deutschen, gemischt mit viel Hebräisch, Romani und dem Französisch der Landsknechte“, erklärt Prof. Dr. Alfred Klepsch. „Und haufenweise willkürlich erfundene Wörter.“ Das klingt dann so: „Hepfi ich hauer an Buttlack, steck mer a Lechum mit Schmierling!“, wie das „Museum der Jenischen Sprache“ in Schillingsfürst als Beispiel nennt. Dass es dieses Museum gibt, ist für Prof. Dr. Alfred Klepsch ein Geschenk – und „eine Schutzmaßnahme, die schon kurz nach dem zweiten Weltkrieg und damit viel früher als in Schopfloch ergriffen wurde.“ Denn indem die Erinnerung hochgehalten wird, im besten Fall (wieder) mehr Menschen sich für ihre besondere Geheimsprache interessieren, wirkt für diese hoffentlich lebenserhaltend – oder mindestens -verlängernd. Es wäre aber auch schade um den Sitzling (Stuhl) und Kritzlerbuckler (Briefträger), das Schecheri (Gasthaus) und die Durft (Kirche), den Nepferizupfer (Zahnarzt) und Stupfel (Igel) …

Räuberakademie

Dass wir über Lachoudisch, Jenisch und vor allem Rotwelsch so viel wissen und sich die Spuren der Gaunersprache bis ins Mittelalter verfolgen lassen, ist nicht nur Wissenschaftlern wie Prof. Dr. Alfred Klepsch zu verdanken, sondern einer Kuriosität, die der Germanist „Räuberakademie“ nennt und von der polizeiliche Dokumente des 19. Jahrhunderts zeugen: Weil im Laufe des 30-Jährigen Kriegs die Soldaten irgendwann nicht mehr bezahlt werden konnten, schlugen sich diese in die Wälder v.a. der deutschen Mittelgebirge (die Verkehrsachse Prag, Nürnberg, Frankfurt a.M.) und bildeten eine Art „nicht-staatliche Organisation“ (Dr. Klepsch), die sich mit Wegelagerei und Überfällen über Wasser hielt. Um im besten ökonomischen Sinne Prozesse zu optimieren und Erträge zu steigern, trafen sich „intellektuelle Räuber aus verschiedenen Gebieten, um das Rotwelsch zu verbessern.“ Als Anfang des 19. Jahrhunderts wieder Zucht und Ordnung einkehrte ins das kriegsgebeutelte Land, fischte man die Räuber aus dem Wald, wo sie „Platte machen“ – ein Rotwelscher Ausdruck, der vom jiddischen Wort „polat“ stammt, das „entwischen“ bedeutet – und verbrachte sie ins Kulmbacher Arbeitshaus Plassenburg zum Arbeits- und Umerziehungsdienst. Vor allem die Kinder landeten über kurz oder lang bei der Kulmbacher Bevölkerung – und mit ihnen ihre Gaunersprache. Noch heute blitzt sie hier und da auf, wie Peter Schels in seinem Buch „Zur Kulmbacher Mundart“ 2012 festhält. Blechng für zahlen (Blech = Geld), grampfm für stehlen, gschbannd für etwas bemerkt haben (spannen = beobachten), Haggng für den guten Kumpel (hagun = ehrbar), Kibbm für die Zigarette (Kippe machen = aufteilen), Ranzn für den dicken Bauch (Ranez = Sack) oder bekaschbën für etwas besprechen zeigen uns: Ein bisschen gaunerhafte Geheimsprache lebt ins uns allen fort … Und der Gleistrampelmarodepink? Ist einfach nur: ein Tierarzt.

Text: Katharina Wasmeier ELMA #15 April 2022

 

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