Hoffnung ...

... und ein ganz normaler Platz im Leben
Hoffnung

Hannes Schott ist Kabarettist und Mundartdichter, vor allem aber Pfarrer. Seit 2020 leitet der gebürtige Bayreuther die evangelische Kirchengemeinde St. Jakob in Nürnberg sowie die diakonische Seelsorge in der Innenstadt. Wir haben mit dem 43-jährigen Pfarrer über Tod und Abschied nehmen gesprochen, über Witze auf Beerdigungen und Verstecken spielen auf Friedhöfen. 

Warum nehmen wir Abschied?

Es gibt ja dieses Bild, dass, wenn wir Menschen reisen, die Seele nachkommen muss. Und ich glaube, dass bei großen Umbrüchen im Leben, wozu auch Abschiede gehören, die Seele nachkommen können muss. Und dazu braucht es Rituale und besondere Möglichkeiten, damit bei so einem Umbruch, wenn z. B. ein geliebter Mensch gegangen ist, die Seele nachkommen kann. Damit meine ich, dass uns jede Erschütterung in einen Ausnahmezustand versetzt, den man irgendwie realisieren muss, um wieder in die Normalität gehen zu können. Ganz unreligiös und rein psychologisch.

Braucht es Religion zum Abschied nehmen oder geht das auch ohne?  
Ich glaube tatsächlich, dass eine christliche Beerdigung mehr Halt geben kann als etwas Areligiöses, weil unser Glaube ist, dass der oder die Verstorbene dort, wo sie dann ist, gut aufgehoben ist. Dass sie jetzt bei Gott ist, der sich um sie oder ihn kümmert, und dass es dort weitergeht – und dass es auch ein Wiedersehen gibt. Und das gibt mir mehr Hoffnung als zu sagen: Es geht ins Nichts.

Die Rituale sind ja auch nicht rein religiös, sondern vor allem gemeinschaftlich und menschlich zu sehen, oder nicht?

Natürlich gibt es manche Sachen, die nach purem Ritus einer Bestattung ablaufen: Es muss jetzt jemand beigesetzt werden, es muss irgendwas passieren. Ich als Pfarrer versuche beim Beerdigungsgespräch zu sagen: Sagen Sie mir auch, wo der Mensch seine Ecken und Kanten gehabt hat, damit der Lebenslauf mit den kleinen Besonderheiten runder ist, das sorgt dann vielleicht auch mal für ein Schmunzeln oder ein „ja genau, so war der!“ – ich hab auch schon Witze erzählt oder Anekdoten von der Oma, wenn die ein rechtes Original war. Das ist eine Form von Würdigung. 

Das klingt, als müssten Abschied und Trauerfeier gar nicht unbedingt auch traurig sein.  
Nein, nicht unbedingt. Man kann das nicht vorhersagen, es spielen so viele Sachen mit rein, wie die Leute sind, die Familienstruktur ist. Ein Abschied kann durchaus etwas Hoffnungsvolles sein – gerade, wenn alte oder kranke Menschen sterben, ist es oft eine Erlösung. Ich versuche die Trauerfeier zumindest hoffnungsvoll zu gestalten.

Gibt es Regeln, wie Abschied genommen werden sollte, oder ist man da ganz frei?
Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Dass der Leichnam aufgebahrt wird, erlebe ich ganz selten und nur in manchen Kulturen, z. B. bei Russlanddeutschen. Viele Menschen wollen sich direkt am Bett verabschieden.

Das ist ein von der Kirche losgelöster Kulturbestandteil, oder?

Ich erlebe derzeit einen großen Umbruch in der Bestattungskultur. Momentan geht zum einen der Trend zur anonymen Bestattung– ich hingegen finde wichtig, wenn es einen Ort gibt, zu dem ich mit meiner Trauer gehen kann, und außerhalb der Friedhofsmauer geht das normale Leben weiter. Dass Menschen bestatten, gibt es seit der Steinzeit, es gibt Funde mit Grabbeigaben – etwas Urmenschliches, dieses Gefühl, noch etwas Würdevolles mit diesem Leib zu machen. Auch in der Hoffnung, dass danach noch was kommt.

Weißt du von anderen Kulturen, die alles ganz anders machen?  
Es gibt ja klassisch diese New-Orleans-Bestattungen mit Dixie-Musik und großer Fröhlichkeit am Grab beispielsweise. Ich habe auch im Christlichen schon erlebt, dass Leute wollten, dass keine schwarze Kleidung am Grab getragen wird, oder erlebt, dass eine Frau, die Klinik-Clownin war, wollte, dass die anderen Clowns als Clowns zur Beerdigung kommen. Es ist viel möglich, auch wenn man vielleicht den Wunsch nach fränkischer Pietät hat. Bei der Liedauswahl ist auch viel möglich, von Udo Lindenberg „Hinterm Horizont geht’s weiter“ bis Andreas Gabalier „Einmal sehen wir uns wieder“ oder sogar „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ und „Highway to hell“ … Man muss halt drüber reden, ob es passt. 

Ist natürlich wahnsinnig abhängig von dem oder der Geistlichen?  
Da müssen die sich hier in der Großstadt schon auch anderen Wünschen unterwerfen. Was immer mal kommt, ist, dass Menschen noch einen Brief mit ins Grab werfen. Ich hatte mal einen Sarg, der von den Enkeln gestaltet worden ist, oder dass Luftballons in die Luft fliegen. Was aus Amerika und dem Kino kommt, ist, dass Angehörige selber etwas sprechen wollen, was den meisten allerdings wahnsinnig schwerfällt, und ich biete dann immer an, das als Profi zu übernehmen und vorzulesen. Ich würde auf jeden Fall nicht empfehlen, dass Kinder das machen.

Ich möchte mein Kind vor der Trauer bewahren und deswegen gar nicht mit zur Beerdigung nehmen – ist das richtig so?  
Ich denke, zum einen kommt da viel die Unsicherheit der Eltern und Angehörigen zum Tragen, die sich nicht wohlfühlen und nicht wollen, dass die Kinder sie sehen, wenn sie von ihren Emotionen übermannt werden. Zum anderen spielt da natürlich das gesamtgesellschaftliche Tabu „Tod“ mit rein: Da hast du dein Leben lang nicht mit deinen Kindern über den Tod gesprochen, und plötzlich kommt das geballt auf eine Familie zu – ich habe das selbst schon so erlebt. Dabei gilt immer noch „Memento mori“: Das Sterben gehört zum Leben dazu, und ein Schicksalsschlag kann jeden Tag einbrechen. Ich denke also, den Kindern ist mehr geholfen, sich frühzeitig auch mit dem heiklen Thema Tod auseinanderzusetzen und darüber zu reden. 

Also schon vorher im Gespräch sein und nicht erst bei der Beerdigung?  
Ja, richtig, und dann ist es auch kein Problem, dass das Kind da mitgeht. Einfach vorher kommunizieren, was da passiert. Klar hat das eine Schwere, wenn der Sarg mit der Oma drin in die Erde gelassen wird. Aber wenn man vorher sagt, das ist zwar der Körper von der Oma, aber das, was sie ausgemacht hat, ist jetzt woanders, und dort ist sie glücklich, dann geht das besser. Grundsätzlich ist eine Schwierigkeit, drüber zu reden, weil man sich selbst nicht mehr auskunftsfähig hält. 

Hast du noch ein positives Schlusswort?  
Mein Wunsch wäre, auch über sowas zu reden und das, was man glaubt oder ahnt. Wenn Eltern sagen, ich hoffe, dass es ein Wiedersehen gibt mit der Oma, ich habe so ein diffuses Gefühl, der Oma geht es jetzt gut, dann brauche ich dafür keinen Beweis, und es hilft einfach. Man kann sich auch beim Beerdigungsgespräch die Abläufe nochmal erklären lassen, um das dann den Kindern weiterzugeben und eine gewisse Sicherheit zu haben. Ich habe es selber fast immer gut erlebt, wenn die Kinder dabei waren. Da haben die Eltern hinterher gesagt: Die konnten jetzt auch Abschied nehmen. Und auch selbst erlebt habe ich, dass zwei Kinder auf dem Friedhof bei der Beerdigungsfeier Verstecken gespielt haben, weil mit denen intensiv vorher geredet wurde und die den Friedhof dann auch nicht als etwas Düsteres wahrgenommen haben, sondern als einen ganz normalen Platz im Leben. 

Interview: Katharina Wasmeier

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