Ich bin hier nicht das Aschenputtel
Es gibt einen Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch, der Kindern und Jugendlichen die Mithilfe zu Hause vorschreibt. §1619 zwingt sie sozusagen geradezu, den Tisch abzuräumen oder den Müll rauszubringen. Solange Kinder klein sind, ist Helfen im Haushalt kein Thema, denn da sind die Zwerge noch wissbegierig und möchten unbedingt die gleichen tollen Sachen machen wie die Großen. Das ist sehr schön, wenn auch vielleicht manchmal etwas anstrengend.
Ist Mithilfe im Haushalt Kinderarbeit?
Schwieriger wird es da schon mit den Jugendlichen, die nicht mehr ganz so viel Lust auf Erwachsenenkram haben. Lieber chillen. Sauberkeit und Ordnung ist mega öde, was sich schon am Zustand des eigenen Zimmers zeigt. Jan-Uwe Rogge, einer der bekanntesten Erziehungsberater Deutschlands, vergleicht diese Räumlichkeiten gerne mit einer Höhle, in der Streuordnung herrscht: getragene Unterhosen neben dem neuen Shirt, Schüsseln mit angetrocknetem Schokomüsli auf den Schulheften, Stapel und Haufen statt Ordnung.
Wie also soll jemand, der so lebt, einsehen, dass er seine Schuhe im Eingangsbereich in Reih und Glied stellen soll? Oder gar, dass der Müll rausgetragen werden müsste und zwar von ihm? Kinderarbeit sei verboten, ist da ein beliebtes Argument des Nachwuchses. Und das stimmt ja auch. Aber dabei handelt es sich um Arbeiten, für die die Kinder noch zu jung sind, die ihnen gefährlich werden können, bei denen sie ausgebeutet werden, ihre seelische und körperliche Entwicklung leidet und die ihnen – und das ist ganz wichtig – die Kindheit stehlen. Unwahrscheinlich, dass der Nachwuchs durch das Wischen des Fußbodens Schaden an Körper und Seele nimmt. Auch wenn Jugendliche da anderer Ansicht sind. 152 Millionen Mädchen und Jungen sind laut Unicef weltweit tatsächlich von Kinderarbeit betroffen, müssen unter Bedingungen arbeiten, die ihnen Rechte und Chancen rauben. Kein Vergleich also zum unentgeltlichen Botengang, der Be-aufsichtigung jüngerer Geschwister oder zum Rasenmähen.
Kinder sind gesetzlich verpflichtet, mitzuhelfen
„Ich helfe dir doch schon im Haushalt, wenn ich kein Durcheinander mache!“, „Mach‘ ich später!“ oder auch das gerne genommene „Jaaahaaaa, gleich!“ in Sie-wissen-schon-welchem-Ton. Da kann man schon mal kurz auf die Idee kommen, den Nachwuchs zu verklagen. Vor allem, wenn man gerade dabei ist, die Sportklamotten des Juniors zu waschen oder das Geld für die Ponyfreizeit zu überweisen. Das Bürgerliche Gesetzbuch bietet dafür auch eine wunderbare Grundlage mit seinem kleinen, aber feinen Paragrafen 1619. Da heißt es nämlich, kurz gesagt, das Kind soll etwas tun für das, was es bekommt. „Das mit dem Verklagen wird aber nicht funktionieren“, schmunzelt der Nürnberger Fachanwalt für Familienrecht Oliver Stigler. Der Grund: Es handelt sich um einen sogenannten Kaugummiparagrafen. „Eine Generalklausel, die lediglich besagt, dass unter Familienmitgliedern Solidarität herrschen sollte, ein Geben und Nehmen. Aus der Sicht des Gesetzgebers ist das Mithelfen die Gegenleistung dafür, dass wir unseren Kindern ein Dach über dem Kopf bieten und sie erziehen“, so Oliver Stiegler. Ein Argument, mit dem wir bei einem 15-Jährigen, der sowieso keine Lust darauf hat, von irgendjemandem erzogen zu werden, wahrscheinlich nicht wirklich weiterkommen. Und wenn der gewieft ist, zieht er gleich noch das Jugendschutz-gesetz zu Rate und beruft sich darauf, dass sein Recht auf freie Gestaltung der beruflichen Ausbildung nicht eingeschränkt werden darf. Was heißt: Die Hausaufgaben und andere schulische Aktivitäten haben Vorrang.
Hausarbeit macht Kinder selbstständiger
Der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ), Gerd Engels, weist darauf hin, dass es im Jugendschutzgesetz aber auch heiße, dass jeder junge Mensch ein Recht auf „die Erziehung zu einer ge-meinschaftsfähigen Persönlichkeit“ hat. „Wenn Kinder und Jugendliche also lernen, dass zum Gelingen einer Gemeinschaft alle nach ihren Kräften beitragen müssen, kann das ihr Gefühl für Solidarität und Verantwortungsbereitschaft wecken.“ Durchaus vernünftig, ein Kind zur Selbstständigkeit zu erziehen. Gehen die Eltern aber zu weit, verlangen zum Beispiel Mithilfe während der Schulzeit oder brummen ihrem Nachwuchs zu viel Verantwortung auf, bleibt jedem Kind der Weg zu Beratungsstellen oder zum Jugendamt offen.
Urteil des BGH „7 STUNDEN PRO WOCHE SIND FÜR EINEN JUGENDLICHEN ANGEMESSEN“
Bevor es allerdings soweit kommt, ist es doch sinnvoller, sich zusammenzusetzen und gemeinsam zu überlegen, welche Aufgaben dem Kind oder Jugendlichen liegen, wie und in welchem Zeitraum man sich die Umsetzung vor-stellt und welche Konsequenzen es hat, wenn die Aufgabe nicht erledigt wird. Denn Rechtslage hin oder her – jede Familie muss für sich entscheiden, wie sie ihre Gemeinschaft regelt. Und solange alle Beteiligten damit zufrieden sind, muss auch nichts daran geändert werden. Egal, wer den Küchenboden putzt. Denn mal ehrlich: Wem es gelingt, einen Teenager dazu zu motivieren, monatlich ganze 28 Stunden im Haushalt mitzuhelfen, so wie es der Bundesgerichtshof in einem Urteil einmal für angemessen hielt, verdient höchsten Respekt. Wer die Teller lieber selbst vom Esstisch in die Spülmaschine räumt, bevor sie von alleine dorthin wandern, verdient trotzdem Verständnis.
Die Zeiten haben sich geändert
Hinzu kommt: Der §1619 stammt aus dem Jahr 1896, einer Zeit also, als noch ein ganz anderes gesellschaftliches Leitbild herrschte, die Ferien in Bayern wegen der anstehenden Erntearbeiten nach hinten verschoben wurden und es noch keine Staubsaugerroboter und Spülmaschinen gab. Und auch das immer wieder gern zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs ist bereits Jahrzehnte alt. „Es gibt überhaupt nur eine Handvoll Entscheidungen diesbezüglich, die letzte ist aus den achtziger Jahren“, so Oliver Stigler. „Zudem handelt es sich um Urteile, die aus dem Schadensersatzrecht kommen.“ Also um Fälle, bei denen ein Kind, das zum Beispiel eine wichtige Stütze auf dem elterlichen Hof war, bei einem Unfall ums Leben kam, die Eltern die ausgefallene Hilfe einklagten und – so makaber es klingen mag – monetären Schadensersatz bekamen.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nur sehr schwer
Letztlich ist die Hilfe im Haushalt eine Frage der Konsequenz und des erzieherischen Durchhaltevermögens. Und eine Frage dessen, was einem wichtig ist. Will ich wirklich mit einem Jugendlichen eine halbe Stunde streiten wegen fünf Minuten Tischdeckens? Oder hebe ich mir die Diskussionen lieber für andere, mir wichtigere Themen auf? Eine Entscheidung, die einem niemand abnehmen kann, auch nicht der Gesetzgeber. Die man höchstens ein wenig abmildern kann, wenn man früh genug und rein spielerisch mit dem Einfordern von häuslichen Pflichten beginnt.
Text: Simone Blaß
DIE TOP 3 DER UNBELIEBTESTEN HAUSARBEITEN
1. Fenster putzen
2. Backofen reinigen/Bügeln
3. Bad putzen
(Quellen: Innofact AG Research & Consulting, Marktforschungsinstitut und www.mwresearch.de)