Wie Kinder unter Corona leiden

Long Covid bei Kindern und Jugendlichen

Die Corona-Pandemie hat uns seit zwei Jahren fest im Griff. Besonders leiden Kinder und Jugendliche. Eingeschränkte Kontakte, Zukunftssorgen in der Familie, Probleme in der Schule: Das hinterlässt Spuren – auf lange Sicht. Auch körperlich kann es Kinder erwischen. Zwar erkranken sie selten mit schweren Verläufen an COVID-19. Dennoch ist das Risiko einer langfristigen gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht zu unterschätzen.

Herr Prof. Fusch, in der vierten Welle ist die Inzidenz bei Kindern stark angestiegen. Kinder müssen zwar immer noch seltener als Erwachsene ins Krankenhaus – Ungewissheit herrscht jedoch darüber, in welchem Ausmaß Corona bei Kindern Langzeitschäden nach sich zieht. Welche Erfahrungen machen Sie im Klinikum Nürnberg?

In den ersten drei Wellen war es in der Tat so: Kinder sind nur selten schwer an COVID-19 erkrankt. In der vierten Welle hat sich das geändert. Die Zahlen sind gestiegen, und es sind deutlich mehr Kinder ins Krankenhaus gekommen. Eines mussten wir in den letzten Wochen sogar auf der Intensivstation beatmen, andere benötigten dort Atemhilfe mit Druckunterstützung.
Es ist leider so, dass inzwischen Kinder stärker erkranken. Long-Covid-Symptome kommen
dann noch dazu. Das ist nach unserem Kenntnisstand heute schon bei fünf bis sechs Prozent der Kinder mit COVID der Fall. Diese Kinder müssen häufig im Klinikum behandelt werden.

Was sind die Anzeichen von Long Covid?

Wie zeigt sich Long Covid? Gibt es so etwas wie das typische Anzeichen?
Das typische Anzeichen ist eigentlich das Untypische – eine diffuse Ansammlung von Entzündungen an verschiedenen Stellen im K rper. Ein Beispiel ist das sogenannte Multisystemische Entzündungssyndrom, kurz PIMS. Oft waren die Kinder zuvor gar nicht mal
schwer krank, dennoch hat das Virus die Gefäße angegriffen. In der Folge kommt es plötzlich zu Entzündungen im Körper. Dies kann sämtliche Organe betreffen – von der Niere über den Herzmuskel, die Leber und Lunge bis zum Gehirn. Symptome sind auch Schmerzen, Hautausschläge, Müdigkeit. Häufig sehen wir auch an Zehen oder Fingern, dass die Gefäße nicht mehr richtig reagieren können.

Long Covid hat viele Gesichter. Erschwert das die Diagnose?
Zu Beginn der Pandemie waren die unterschiedlichen Symptome für uns sicher eine Herausforderung bei der Diagnosestellung. Inzwischen wissen wir ja etwas mehr über Long Covid. Klarheit gibt ein Antikörpertest. Dann sehen wir, ob ein Kind Corona hatte und können entscheiden, wie wir es behandeln.

Wie wird Long Covid behandelt?

Wie sieht denn so eine Behandlung aus?
Die betroffenen Kinder werden stationär behandelt. Sie bekommen eine Antikörpertherapie und manchmal auch Steroide, also Kortisonpräparate. Spätfolgen nach Viruserkrankungen bei Kindern sind grundsätzlich nicht neu.

Warum macht Ihnen Long Covid besondere Sorgen?
Ja, das Phänomen per se ist nicht neu. Dennoch weiß man einfach noch zu wenig über Long Covid. Wir wissen nicht, welche Virus-Varianten noch auftauchen werden, und es ist unklar, ob Kinder Long Covid wirklich dauerhaft besiegen oder nicht. Wir helfen auch dabei, die Forschung auf diesem Gebiet voranzutreiben. So haben wir uns dem Netzwerk der Kinderuniklinik Regensburg zu einer Studie über Coronavirusinfektionen bei Kindern in Bayern angeschlossen und sind hier das regionale Zentrum. Es wird aber noch dauern, bis wir eine verlässliche Datenlage haben.

Angesichts Ihrer Erfahrungen als ärztlicher Leiter einer Klinik für Kinder: Wie stehen Sie zur Impfung?
Natürlich müssen die Eltern entscheiden, ob sie ihr Kind impfen lassen. Wenn wir aber das Risiko abwägen – Impfungen gegen eine Corona-Infektion oder eine mögliche Long-Covid-Erkrankung –, dann plädiere ich ganz klar für die Impfung.

Wie wirkt sich Corona auf die Entwicklung der Kinder aus?

Herr Dr. Nonell, auch aus psychologischer Sicht wirkt sich die Pandemie dauerhaft auf die Entwicklung unserer Kinder aus. Die Zahl seelischer Erkrankungen nimmt zu. Was für Krankheitsbilder sind das?
Es ist richtig, dass die Zahl von Kindern mit seelischen Erkrankungen, die in der Klinik behandelt werden müssen, zunimmt. Allein Essstörungen haben sich im ersten Halbjahr mehr als verdoppelt. Das sehen wir auch bei uns in der Klinik. Besonders häufig behandeln wir Kinder mit Anorexie, also Magersucht. Dazu kommen Angststörungen und Depressionen.

Wie erklären Sie sich die hohe Zunahme von Magersucht?
Magersucht betrifft in den meisten Fällen Mädchen im Teenageralter, so zwischen elf und 17 Jahren. Das Risiko einer Magersucht hat sich durch die Corona- Pandemie insofern verschärft, als dass die Jugendlichen die Alltagsstruktur verloren haben. Sie halten die krankhafte Kontrolle über das Gewicht, um sich in einer unkontrollierbaren Situation zu behaupten und Autonomie zu erleben.

Sind eher kleine Kinder oder Jugendliche gefährdet, seelisch zu erkranken, depressiv zu werden? Gibt es altersbedingte Unterschiede – und wenn ja, wie äußern sich diese?
Es sind sowohl junge als auch ältere Kinder gefährdet. Eine Gefahr besteht besonders dann, wenn die Pandemie das Erreichen von Entwicklungszielen behindert. Wenn Kinder oder Jugendliche sich nicht ausreichend in den einzelnen Bereichen entwickeln können – etwa was motorische, soziale, emotionale oder kognitive Fähigkeiten betrifft. Im ungünstigen Fall entstehen daraus psychische Krankheiten.

Verlorene Entwicklungszeit kann man nicht nachholen

Was glauben Sie – wie lange braucht es, bis Kinder und Jugendliche die Folgen der Pandemie verarbeitet haben? Oder wird das nie mehr richtig heilen?
Auch das ist individuell verschieden. Manche Kinder kommen schneller mit der geänderten Lebenssituation in der Pandemie zurecht, andere brauchen länger. Fest steht aber in jedem Fall: Eine verlorene Entwicklungszeit kann man nicht gänzlich nachholen. Kinder, die diese Pandemie miterleben, wachsen anders auf als ihre großen Geschwister.

Selbst Kita-Kinder kennen schon Begriffe wie Inzidenz oder Gurgeltest. Ihnen fehlt die für Kinder typische Unbeschwertheit. Wird das Ihrer Meinung nach eine ganze Generation beeinflussen?
Ja, da bin ich mir sicher. Erlebtes kann man nicht ungeschehen machen. Zum Glück verfügen Kinder und Jugendliche meist über eine hohe Fähigkeit, sich anzupassen. Dies ist ein hilfreicher Schutzfaktor. Neben eingeschränkten sozialen Kontakten oder der Sorge, sich und andere zu infizieren, gibt es in den Familien zunehmend Konfliktpotenzial.

Haben Sie praktische Tipps?
Hilfreich ist, die Bewältigung der Pandemie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu sehen. Die Krise kann dazu führen, den Zusammenhalt in der Familie zu stärken. Alle Familienmitglieder sollten versuchen, gegenseitig Verst ndnis für die pandemiebedingten Belastungen aufzubringen.

Resilienz als Bewältigungsstrategie

Man spricht ja oft von Resilienz – Bewältigungsstrategien in besonderen Lebenslagen bzw. der Fähigkeit, sich an Veränderungen anpassen zu müssen. Wie schwer ist das Ihrer Meinung nach für Kinder und Jugendliche? Gibt es Strategien, die Sie mit ihnen trainieren können?
Resilienz ist die psychische Widerstandsfähigkeit, man kann sie verbessern, indem man eigene wirksame Strategien für die Bewältigung des Alltags findet und diese Strategien vermehrt einsetzt. Resilienz ist ein Prozess, der das erfolgreiche Meistern einer schwierigen Situation, wie z.B. der Pandemie voraussetzt. Je nach den vorhandenen Ressourcen eines Kindes ist das unterschiedlich schwer. Die Pandemie kann aber zur Entwicklung von Resilienz beitragen. Selbst kann man auch einiges trainieren, z.B. sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, sich regelmäßig zu bewegen, sich auf Positives zu fokussieren, hoffnungsvoll bleiben und
zu wissen, dass die Pandemie vorübergehen wird. Auf der Internetseite unserer Klinik finden sich hierzu auch Ratschläge.

Welche Behandlungsmöglichkeiten bieten Sie in Ihrer Klinik außerdem für betroffene Kinder und Jugendliche an?
Wir können alle psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen behandeln. Dafür haben wir in unserer Klinik verschiedene Therapieformen, z. B. die ambulante, tagesklinische oder vollstationäre Behandlung sowie verschiedene ärztlich-therapeutische Behandlungsangebote die nach den Bedürfnissen unserer Patienten ausgerichtet sind. Sollte eine Behandlung in der Klinik nicht notwendig sein, können wir Empfehlungen zu anderen Hilfsangeboten geben.

Text Julia Peter (Klinikum Nürnberg), ELMA #14 Februar 2022

 

Unter Long COVID versteht man die gesundheitlichen Spätfolgen einer COVID-19-Erkrankung. Es gibt bislang keine einheitliche Definition, auch sind Verlauf und Dauer individuell unterschiedlich. Grundsätzlich lassen sich Symptome wie Lungenschäden, Entzündungsreaktionen, Organ-Ver änderungen, Atemnot, Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue), Bewusstseinstrübungen und Muskelschwäche beobachten.

Nach aktuellen Leitlinien gibt es übrigens einen Unterschied zwischen Post und Long COVID. Von Long COVID spricht man, wenn Symptome mehr als vier Wochen nach der Infektion fortbestehen oder auftreten. Das Post-COVID-19-Syndrom bezeichnet streng genommen bestehende oder neu auftretende Symptome jenseits von zw lf Wochen nach der Infektion

Wir haben mit zwei Fachexperten vom Klinikum Nürnberg über Long Covid bei Kindern gesprochen. Prof. Dr. Christoph Fusch, Ärztlicher Leiter der Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche, beleuchtet das Thema aus medizinischer Sicht. Dr. Patrick Nonell, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter (KJP), beantwortet Fragen zu seelischen Langzeitfolgen.

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