Die Würfel werden neu gemischt

Wie ein Auslandsjahr die ganze Familie verändern kann
Auslandsjahr - wie kommt man zurück

Ein Auslandsjahr ist eine gewaltige Erfahrung. Für die, die gehen. Und für die, die bleiben. Denn auch Eltern und Geschwister zu Hause nehmen im Familiensystem während der Abwesenheit neue Plätze ein. Aber nicht nur das Gehen bereitet Schwierigkeiten – das Wiederkommen auch.

Loslassen

Kann mein Kind ohne mich so weit weg überhaupt überleben? Was, wenn es Heimweh hat oder die Gastfamilie ganz schrecklich ist? Was wird sich verändern in der langen Zeit? Gehen Freundschaften verloren? Und ist das wirklich die richtige Entscheidung? Bis es endlich losgeht, wurden gefühlte tausend Fragen beantwortet und eine Million Ängste bewältigt, aber dann ist das Flugzeug gestartet, das Kind auf dem Weg zu seinem Auslandsjahr und für die Familie zuhause beginnt eine neue Zeit. Alles verschiebt sich im System. Die Positionen verändern sich. Und auch die Eltern spielen möglicherweise plötzlich die zweite Geige –  für eine Weile zumindest. Es kann wehtun, wenn das Kind von seiner „neuen Familie“ schwärmt. Wenn es  Vergleiche anstellt, bei denen man selbst nicht immer gut wegkommt. Da drüberzustehen und sich für das Kind über weitere Bezugspersonen im Leben zu freuen, heißt loslassen. Und loslassen gehört in der Regel nicht zu unseren Lieblingsbeschäftigungen.

Heimkommen in ein anderes Leben

Das Heimkommen ist übrigens keineswegs leichter als das Weggehen. Wieder heißt es für den Nachwuchs, Abschied nehmen, wieder heißt es, sich neu eingliedern, neue Grenzen akzeptieren. Und je nachdem, wie frei sich das Leben im Ausland gestaltet hat, kann das Heimkommen zu den Eltern auch einen Rückkehr zur Kontrolle bedeuten. Und einen Verlust an Intimität. Auf beiden Seiten. Denn auch die Erwachsenen hatten, zumindest, wenn es keine weiteren Kinder im Haus gibt, vorübergehend ein ganzes Stück mehr Freiheit.

Ein Kind, das das „Nest“ verlassen hat und den großen Schritt in ein anderes Land gewagt hat, kommt nicht als derselbe Mensch zurück. Darüber muss man sich im Klaren sein. Schon eine Woche Ferienlager können jemand total verändern, ein Jahr Ausland wird das auf jeden Fall tun. Daher ist es wichtig, sich vorzubereiten und sich und dem anderen beim Ankommen Zeit zu lassen, rät Diplom-Psychologe Ralph Schliewenz: „Sich austauschen mit anderen, die bereits ähnliche Erfahrungen machen konnten. Die eigene Neugier auf die Geduldsprobe stellen und darauf warten, dass die vielen Fragen schon irgendwann beantwortet werden. Und sich unbedingt schon während der Abwesenheit des Kindes darüber klar werden, dass das Kind kein Kind mehr ist.“

Der Entwicklungssprung, den ein junger Mensch durch so eine Erfahrung macht, kann riesig sein, und umso wichtiger ist es, dass auch die Eltern sich dessen bewusst sind und die Perspektive ändern. Das Küken wird erwachsen, vielleicht sogar ein bisschen schneller als wenn es daheimgeblieben wäre. Und damit hat das Auslandsjahr ja auch einen seiner wichtigsten Zwecke erfüllt: Selbstständigkeit.

Text: Simone Blaß

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