Zuckerfrei für Deutschland

Kinderernährung (wird) schwer gemacht
gesunde Kinderernährung

Mit Ernährungsempfehlungen ist das ja immer so eine Sache. Die gelten mal und plötzlich gelten sie nicht mehr. Und da wir Eltern unsere Kinder auf jeden Fall richtig und gesund ernähren wollen, kann es ganz schön zu Gewissenskonflikten führen, wenn wir uns jahrelang an die Empfehlungen gehalten haben, um uns dann sagen zu lassen, dass das falsch war. Hat’s schon gegeben. Umso wichtiger ist es, die Kirche im Dorf zu lassen, findet unsere Autorin.

Zuckerverbot - keine gute Idee

Auch, wenn es um den Zucker geht: Unsere Kinder sind ganz normale Menschenkinder, und die sollten wir auch ganz normal ernähren. Natürlich möglichst gesund, mit möglichst viel Selbstgekochtem, mit frischen Zutaten, und am besten regional und bio. Aber ruhig auch mal mit einem Nachtisch oder einer Leckerei zwischendurch. Alles eben in einem vernünftigen Maß . Es bringt nämlich niemandem etwas, wenn wir einem Kind jahrelang verbieten, Zucker zu essen und es bei jeder sich bietenden Gelegenheit hinter unserem Rücken die Süßigkeiten-Vorräte anderer verputzt oder sein Taschengeld investiert. Zucker macht per se nicht krank, und eine Droge ist er schon gar nicht. In sehr geringen Dosen ist er wichtige Nahrung für unsere Zellen und vor allem für unser Gehirn. Ja, auch der reine Zucker!

versteckter Zucker

Das Problem ist, wenn er sich versteckt, der Zucker. Zum Beispiel so wie lange Zeit in Babytees, oder heute noch in Wurst, in Säften, Quetschies, Babykeksen, Müsliriegeln, sogenannten Light-Produkten – wenig Fett, dafür viel Zucker – oder natürlich auch in Softdrinks. Dann kommen wir schnell aufs Doppelte. 35 Kilo pro Jahr, 10 Kilo mehr als noch vor 50 Jahren. Daran nicht unschuldig ist die Lebensmittelindustrie. Denn was hat Zucker sogar in vermeintlich gesunden und herzhaften Lebensmitteln wie etwa Frischkäse verloren? Noch dazu oft in solchen, in denen die Zielgruppe ganz klar unsere Kinder sind? Ganz einfach: Er ist ein extrem günstiger Geschmacksträger und Konservierungsstoff. Und je früher die Kleinen darauf trainiert werden, desto sicherere Abnehmer für die rund 200 Millionen Tonnen Zucker jährlich haben wir auch in Zukunft.

Der Konsument bestimmt

Es gibt derzeit weltweit rund 40 Millionen übergewichtige Kinder unter fünf Jahren. In England gingen die Gesundheitskosten für Fettleibigkeit und ernährungsbedingte Diabetes so durch die Decke, dass die Regierung 2015 beschloss, zu handeln. Sie warnte die Lebensmittelindustrie vor und schlug 2018 mit einer deftigen Steuer zu, um die Einnahmen dann in Sportprogramme und -anlagen zu stecken. Und da sind die Engländer nicht die Einzigen. Auch andere Länder wie Ungarn, Frankreich, Mexiko oder Norwegen haben längst durchgegriffen und umgesetzt, was die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt – nämlich Druck auszuüben. Auf die Firmen durch die Steuer, auf die Bevölkerung über den Preis. Mit einigem Erfolg. Nicht nur der Absatz des Extrem-Verzuckerten ging messbar herunter, die Bevölkerung hat sich auch erstaunlich schnell an weniger Zucker gewöhnt. Heute hat in England eine klassische Orangenlimonade nur halb so viel Zucker wie zum Beispiel in der Schweiz. Und schmeckt trotzdem.

Jetzt fragt man sich vielleicht: Warum handelt der Gesetzgeber in Deutschland nicht ein bisschen rigoroser, um uns und vor allem auch unsere Kinder zu schützen? Funktioniert doch in anderen Ländern auch. Das könnte daran liegen, dass hierzulande schon ein Aufschrei durch die Gesellschaft geht, wenn jemand es wagt, einen Veggie-Tag in Kantinen anzudenken. Könnte. Muss aber nicht. Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass es uns so sehr versüßt wird, den Ernst der Lage nicht zu erkennen.

Text Simone Blaß, ELMA #14 Februar 2022

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